Lange Zeit galt Israel als einzige Demokratie im politisch höchst instabilen Nahen Osten. Doch der tadellose Ruf der Rechtsstaatlichkeit hat in jüngster Zeit Risse bekommen. Premierminister Benjamin Netanjahu versuchte, eine Justizreform in Form eines kalten Polit-Putsches durchzudrücken. Dies hätte den Obersten Gerichtshof, einen wesentlichen Anker der Gewaltenteilung, zu einer Statistenrolle degradiert und das Parlament hätte Entscheidungen der Obersten Richter mit einfacher Mehrheit aufheben können.

Netanjahu beging schwere Fehler und setzte sich dem Vorwurf aus, die De-facto-Gleichschaltung der richterlichen mit der gesetzgebenden und regierenden Gewalt aus eigenem Interesse durchpeitschen zu wollen. Seine Politik führte zu breitem Widerstand in der Bevölkerung, mit Oppositionsparteien, hunderttausenden Menschen auf der Straße, protestierenden Soldaten und einem Generalstreik der Gewerkschaften.

Verteidigungsminister Joav Galant wagte mit seinem Nein zur Justizreform sogar die offene Rebellion. Staatspräsident Jitzchak Herzog warnte schließlich vor einem „Bürgerkrieg“ und bescheinigte dem Regierungschef mit seinem Betondenken praktisch Inkompetenz.

Netanjahu verpasste den Zeitpunkt, um mit einem frühzeitigen Aussetzen des umstrittenen Gesetzesprojekts Dampf aus der angespannten Lage zu nehmen. Seine Reputation ist massiv beschädigt und er muss sich einen gefährlichen Kontrollverlust ankreiden lassen. Der Chef der rechtesten Regierung in der Geschichte Israels ist zur Geisel einer Koalition geworden, an der auch ultraorthodoxe und rechtsextreme Parteien beteiligt sind.

Netanjahu kann die Polterer und Polarisierer in seinem Kabinett nicht mehr steuern, was die innenpolitische Spaltung des Landes vertieft. Es steht zu befürchten, dass der Radikalkurs der Regierung den Konflikt mit Palästinensern im Westjordanland und im Gazastreifen verschärft.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert